Die Maschine des Orffyreus

Das Perpetuum mobile von Kassel

Dieser Herr hier rechts im Bild ist Johann Ernst Elias Bessler, der sich selbst Orffyreus nannte. Manche halten ihn für einen Scharlatan. Einige für ein verkanntes Genie. Aber eigentlich ist er schlicht vergessen. Vor 300 Jahren hingegen war sein Name in aller Munde. 1719 publizierte Bessler in Kassel eine Schrift mit dem Titel “Das triumphierende Perpetuum mobile”, in der er bekannt machte, eine solche Maschine konstruiert zu haben.

Das an sich wäre nichts Besonderes gewesen. Das Thema bewegte die Zeit wie heute die Suche nach erneuerbaren Energien, und fast alle Monate tauchten irgendwelche mehr oder weniger dubiosen Gestalten auf, die viel versprachen und wenig hielten. Auch namhafte Wissenschaftler und Ingenieure suchten nach einer Quelle endloser Energie. Das dies prinzipiell unmöglich ist, war damals noch kein allgemein anerkanntes Gesetz.

Bei dieser fieberhaften Suche nach dem Perpetuum mobile ging es weniger darum, dass eine einmal in Gang gesetzte Maschine ewig fortläuft – dem wären selbst im “Erfolgsfall” schon durch den Verschleiß enge Grenzen gesetzt gewesen. Vielmehr ähnelte die Situation dem unbefriedigenden Stand der heutigen Akkutechnik, die Autos mit Elektroantrieb auf die Reichweite von Pferdedroschken zurückwirft und Handybesitzer zwingt, stets die nächste Steckdose im Blick zu haben. Ähnlich limitiert waren die damaligen Antriebskräfte, von denen die wichtigste Wasserkraft war – sonst gab es nur Wind und Muskelkraft. Es existierten komplexe Maschinen, insbesondere um Grubenwasser aus Bergwerken zu pumpen, aber deren Leistung war schmerzhaft begrenzt. Es fehlte der Welt ein wie auch immer betriebener Motor. Man brauchte mehr Power – egal wie und woher. Darum wurde zur selben Zeit auch planmäßig nach möglichen Dampfmaschinen geforscht.

Johann Bessler war eine schillernde Figur. Er hatte sich in allerlei Handwerken, als Soldat, Arzt und Alchemist versucht, bevor er 1712 in Gera sein erstes Perpetuum mobile öffentlich präsentierte. Spätere Stationen führten ihn an die kleinen Residenzen Westsachsens und schließlich nach Hessen. Seine Maschinen glichen im Prinzip Wasserrädern ohne Wasser. Große trommelförmige Scheiben lagerten wie Riesenräder auf einem Gestell, rotierten und entwickelten dabei sehr beachtliche Kräfte. Beim Versuch, ein solches Rad von Hand zu stoppen, wäre ein Mann von diesem mit in die Höhe gerissen worden, macht ein Augenzeuge die Leistungsfähigkeit anschaulich. Ein äußerer Antrieb war nicht erkennbar.

So stellten sich Skeptiker den Betrieb des Perpetuum mobile Orffyreanum vor. Diese Möglichkeit ist zwar wohl die technisch einzig befriedigende Erklärung. Sie wurde jedoch bei späteren Prüfungen eben wegen dieses Verdachtes sorgfältig ausgeschlossen.

Bessler gab spektakuläre Vorführungen und absolvierte Prüfungen vor Kommissionen, denen die namhaftesten Wissenschaftler der Zeit angehörten. Wie die Maschine funktionierte, erfuhr niemand. Zu groß die Gefahr geistigen Diebstahls zu einer Zeit, die keinen wirksamen Patentschutz kannte. Die Prüfer mussten sich begnügen festzustellen, dass nicht von außen ein Antrieb erfolgte, etwa über verborgene Stricke. Das Geheimnis im Inneren der Räder durfte niemand sehen. Dass dort nicht schlichtweg eine Art Uhrwerk in Gang war, wurde sichergestellt durch Forderung nach immer höherer Leistung und nach Langzeittests. Die Maschinen vollbrachten Unmögliches. Darauf kam es an, nicht auf das “Wie”.

Bessler lieferte. Sein Meisterstück war ein Langzeitversuch in einem versiegelten Raum im Kasseler Schloss Weißenstein. Der Hausherr Landgraf Carl von Hessen war einer der bedeutendsten Herrscher Deutschlands und dabei auch technisch interessiert und beschlagen. Er hatte die ersten Dampfmaschinenversuche in Deutschland dirigiert und nach deren sehr mäßigen Anfangserfolgen sein Interesse parallel der Besslermaschine zugewandt. Er attestierte dem Erfinder, dass das große, schwere Rad wochenlang rotiert hatte, ohne irgendwie von außen angetrieben zu sein. Selbst die Nachbarräume im Schloss hatte man eingehend untersucht. Eine andere Erklärung, als ein tatsächliches Perpetuum mobile vorliegen zu haben, schien damit ausgeschlossen. Denn es fehlte der Welt ein wie auch immer betriebener Motor…

Bessler verlangte astronomische Summen für die Enthüllung seines Geheimnis, bot aber zugleich an, mit seinem Kopf zu haften. Zar Peter der Große schickte Emissäre nach Deutschland, die Londoner Börse horchte auf, der Trubel um das Kasseler Perpetuum mobile wurde international. Besucher aus aller Welt strömten nach Hessen.  Das Perpetuum mobile rotierte unermüdlich, bis eines Tages ein Gutachter klammheimlich einen Blick in das Innere tun wollte. Da zerschlug der hochgradig exzentrische Erfinder sein Werk in einem Wutanfall.

Noch heute versucht eine internationale Fangemeinde, die Maschine des Orffyreus aus den zahlreichen Skizzen in dessen Nachlass zu rekonstruieren. Mancher träumt davon, so die Energiefrage unserer Zeit zu lösen… Johann Bessler selbst starb ein Vierteljahrhundert nach seinem großen Triumph verarmt und vergessen. Ein Neubau seiner Maschine hatte sich immer weiter verzögert. Spätere Erfindungen, darunter selbstspielende Orgeln und ein U-Boot, trafen nicht mehr wie sein Perpetuum mobile den Nerv der Zeit. Selbst als er dem König von Schweden brieflich anbot, mit einem Fahrzeug vorzufahren, dessen einziger Antrieb seine Maschine sein sollte, erntete er nur noch Schweigen.