Fausts Bücher

Markt und Mythos

Am Weihnachtsmorgen des Jahres 1715 fand man in einer Laube in einem Weinberg nahe Jena zwei tote Männer und einen übel mitgenommenen Studenten. Die drei hatten sich am Vorabend zusammengetan, um dort Geister zu beschwören, die ihnen verborgene Schätze offenbaren sollten. Anleitung dazu hatten sie aus verschiedenen geheimen Büchern, darunter dem berüchtigsten Werk dieser Art: Fausts Höllenzwang. Es handelt sich dabei um als Abschriften verbreitete Manuskripte, in denen kein geringerer als Dr. Faustus höchstpersönlich Einblick gewährt, wie man in seine Fußstapfen treten soll.

Über Faustus ist kaum mehr bekannt als dass es eine historische Persönlichkeit dieses Namens gab, die schon bei ihren Zeitgenossen in zweifelhaftem Ruf stand. Faust beschäftigte sich zu einer Zeit, als Magie und Wissenschaft noch nicht streng getrennt waren, mit Künsten wie dem Erstellen von Horoskopen. Er war ein exzentrisches Großmaul und erregte überhaupt gerne Anstoß. Vermutlich 1538 kam er unter Aufsehen erregenden, genauer jedoch nicht bekannten Umständen ums Leben.

Faust war seit jeher ein Phantom. Andere gelehrte Magier seiner Art veröffentlichten Bücher, hinterließen Briefe, oder ihre Schüler berichteten später über ihr Leben. Faust hingegen war ein Vakuum. Man gierte förmlich nach Informationen über den geheimnisvollen Mann, aber niemand wusste Genaueres. Erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod tauchte endlich eine Biographie auf, die „Historia von D. Johann Fausten“. Das Buch enthält die Geschichte seines Teufelspaktes und daneben zahlreiche Anekdoten über Zauberei, was beides für die Zeitgenossen nicht gegen die beanspruchte Authentizität sprach – im Gegenteil. Aus heutiger Sicht kann man das außergewöhnliche Werk als literarisches Spiel sehen, aber auch als ein Produkt mit einer gewissen Ähnlichkeit zu “Hitlers Tagebüchern“: Der Markt ist mächtig, und wo entsprechende Nachfrage ist, da findet sich schon irgendwann ein begabter Künstler, den Fälscher zu nennen seiner Genialität kaum gerecht würde…

Die „Historia“ war auf dem Buchmarkt des Jahres 1587 ein Bestseller. Dem Sensationserfolg schlossen sich unzählige Nachdrucke, Fortsetzungen und die Adaption durch Wandertheater an, wo Fausts Geschichte rasch zum beliebtesten Stoff aufstieg. Dort war er vor allem ein Mann, der Dank zauberischen Knowhows ein Jetset-Leben führte mit phantastischen Reisen, unendlichem Reichtum, den schönsten Frauen und souveränen Triumphen über jeden Rivalen. Faust wurde zum James Bond des 17. Jahrhunderts.

Hand aufs Herz, meine Herren: Könnte ein solcher Lifestyle uns nicht auch behagen? Einen Teufelspakt kann man beizeiten wieder kündigen, auch ist er nicht Voraussetzung, um die Kunst der Geisterbeschwörung zu erlernen. Faust hatte sich eigentlich ziemlich dämlich angestellt und war nur deshalb am Ende zur Hölle gefahren. Aber er hatte den richtigen Einstieg gefunden, und zwar in kostbaren und ganz außerordentlich raren alten Büchern. Was wohl aus denen geworden sein mochte? Und hatte er nicht selbst sein Wissen vor seinem Ende schriftlich festgehalten? Irgendwo musste dieser Nachlass geblieben sein, und Liebhaber verbotener Künste waren bereit, dafür sagenhafte Preise zu bezahlen. Der Markt aber ist mächtig…

In den Giftschränken großer Bibliotheken findet man noch heute alte Handschriften, in denen Faust selbst den Leser direkt über all die Jahrhunderte hinweg anspricht. Käufer wie der Eingangs erwähnte Student und seine Gefährten fanden so die begehrte Einweihung in die Kunst der Geisterbeschwörung, durch die man reich zu werden träumte, vergleichbar heutigen Phantasien vom Lottoglück. Mitunter funktionierten diese Beschwörungen sogar so weit, dass Teilnehmer solcher langwierigen und mit großer Spannung verbundenen Rituale Erscheinungen zu sehen glaubten. Aber wie leicht konnte auch etwas schief gehen… Die Toten von Jena schrieben aufgeklärte Gemüter einer Rauchvergiftung zu, weil bei Geisterbeschwörungen stets rituelle Räucherungen mit im Spiel waren. Andere waren sicher, dass der Teufel sie erwürgt hatte wie einst den Dr. Faust.

Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles...

Johann Wolfgang v. Goethe, Faust I